Donnerstag, 13. Dezember 2012
ok, hallo erst mal...
hallo leute!
In diesem Beitrag wollte ich euch mein selbst verfasstes Buch vorstellen. Ich habe es noch nicht vollständig geschrieben, und deshalb werde ich euch immer nur einen kleinen Teil zeigen. Wenn ich dann so weit bin, kommt ein neuer Teil. Wenn es euch gefällt oder ihr Verbesserungsvorschläge habt, dann freue ich mich über Kommentare...ach übrigens: Titelvorschläge wären auch nicht schlecht;-) ok, dann geht`s los:

23.1.2013:

Es gab einmal einen Dichter, der sagte: ,, Verberge vor den Menschen, die du liebst, niemals deine Gefühle. Denn wenn die Zeit gekommen ist, dann ist es zu spät. ‘‘ Ich habe diesen Spruch eigentlich nie in Frage gestellt, aber so richtig daran geglaubt? Nein, nicht wirklich. Aber es ist ja immer so, dass man derartige Sachen auf die harte Tour erfahren muss. Ob das jetzt ein Spruch ist, den man nicht auf sich bezieht, oder ein Schicksal, was man traurig findet, aber sich nicht weiter darüber Gedanken macht. Die Menschen nehmen die Schicksale der andren mit so einer Selbstverständlichkeit hin, weil es einem ja nicht selbst passiert ist. Man fühlt keinen Schmerz, auch wenn man den Leuten nach außen etwas vorspielt, das tut man erst, wenn man weiß, wie es ist. Auch ich habe das gemacht, aber ich werde es nie wieder tun. Ich wurde dafür bestraft, dass ich derart blind durchs Leben gewandert bin. Die Strafe war, dass ich dasselbe Schicksal erfahren musste, wofür ich solange blind gewesen bin. Es hat mir auf schmerzhafte Weise die Augen geöffnet.
Schmerzhaft. Das Wort spielt nichts von dem wieder, was es im wirklichen Leben bedeutet. Schmerzhaft ist es, wenn einem ein geliebter Mensch genommen wird. Schmerzhaft, in untertriebener Weise ist es, wenn man sich etwas bricht. Aber wenn man das Wort hört, kann man sich gefühlsmäßig nichts darunter vorstellen. Ich will nicht behaupten, dass ich jede Art von Schmerz kenne, aber ich sage dir: Ich weiß, was Schmerz ist. Nicht, dass ich es wissen wollte, es ist einfach geschehen. Mir wurde einer der Menschen genommen, die mich durchs Leben begleitet haben. Einer der Menschen, die mir am meisten etwas bedeutet haben. Damit du das genau verstehst, beginnt meine Geschichte ein wenig früher. Sie beginnt am 4. Juli 2003 in einer Stadt, gar nicht so weit entfernt von München. Ein kleiner Stadtteil, das war so ziemlich alles, was ich bisher von der Welt gesehen hatte. Und ich war schon 13. Naja, dieses ,,schon 13‘‘ kann man jetzt auch anders sehen, aber ich nenne es jetzt einfach mal so, denn es ist ja meine Geschichte. Das Problem bei der ganzen Sache war, dass keiner meiner Freunde lange in unserer Wohngegend blieb. Sie zogen alle irgendwann weg, denn es war nicht gerade das Luxusviertel. Also war ich in so manchen Sachen relativ auf mich alleine gestellt. Ich wurde schnell selbstständig, denn zu meinen Eltern hatte ich zwar ein gutes Verhältnis, aber sie waren nicht diejenigen, mit denen ich über meine Probleme sprechen wollte. Das waren sie einfach nicht. Ich war die vollen Jahre meines Lebens eigentlich immer auf mich gestellt, bis zum 4. Juli eben. Es war ein Freitag. Ich war gerade von der Schule heimgekommen und saß in der Küche am Fenster. Von gestern hatten wir noch ein paar Spagetti übrig, und die aß ich jetzt. Draußen war alles wie immer. Der alte Mann aus dem vierten Wohnblock saß auf seiner Wohnterrasse und schlürfte seinen Kaffee. Der ist übrigens schon alt seitdem ich hier wohne. Der hatte früher schon diese tausend Falten im Gesicht und sein Haaransatz hatte auch schon immer an der Mitte seines Kopfes angefangen. Der einzige Unterschied war, dass er früher einmal eine Frau gehabt hatte. Zumindest hat die ihm immer den Kaffee rausgebracht und seit gut zwei Jahren holt er den sich immer selber. Gegenüber von dem Alten wohnt eine Studentin. Zumindest sagen das alle. Ich glaube, dass die entweder verdammt viel raucht oder ein Junkie ist. Weil wenn man bei der ins Wohnzimmer schaut, da denkt man immer es brennt. Wie gesagt, draußen war alles wie immer. Zuerst. Denn als ich gerade meinen leeren Teller wegräumen wollte, da fiel mir eine alte Frau auf der Straße auf. Ich hatte sie noch nie gesehen, und hier halten sich eigentlich immer die gleichen Leute auf. Sie drehte sich immer wieder um und schwenkte dabei ihren Gehstock zur Seite. Irgendwann blieb sie abrupt stehen und schaute zur Seite. Direkt zu mir. Ich machte reflexartig einen Schritt aus ihrem Sichtfeld. Als ich wieder zwischen durch Gardienen auf die Straße lugte, war die Dame verschwunden. Der Begriff ,,Dame‘‘ passt hier gut, denn sie sah wirklich so aus. So vom Kleiderstil ein bisschen wie die Queen. Finde ich. Ich war ein wenig enttäuscht, dass sie weg war, machte mir aber nicht weiter Gedanken. Den Nachmittag verbrachte ich liegend auf der Couch gemeinsam mit Milli.
Milli ist meine Katze. Sie war einmal ein Streuner und ich habe ihr immer ein Schälchen Milch vor die Türe gestellt. Irgendwann ist sie mit mir ins Haus gekommen und seitdem wohnt sie hier. Wir sahen gemeinsam fern, bis sie bei einer Talkshow gelangweilt von meinem Schoß sprang und sich in ihren Katzenbaum verkrümelte. Meine Mutter kam gegen sechs nach Hause. Sie war müde und schlief bald auf der Couch ein. Sie schlief bestimmt schon zwei Stunden, als mein völlig unnatürlich fröhlicher Dad zur Türe reinkam. Er hatte mir ein neues Buch mitgebacht. ,, Flieg! ‘‘, so der Titel. Ich bedankte mich zwar, aber ich wusste, dass es wie all die anderen Wälzer die er mir mitgebracht hatte, unter meinem Bett in einer Kiste landen würde. Mein Vater arbeitete in einer Firma, die Bücher druckte. Ich war immer die erste, die irgendeinen tollen neuen Bestseller in der Hand hielt. Aber das ist wie mit allem was anfänglich ganz toll ist. Es wird langweilig. Oder zumindest selbstverständlich. Es ist eben nichts Besonderes mehr. Und deswegen verbannte ich das Buch gleich, als ich in mein Zimmer kam, in die Kiste `Hab ich nicht gelesen und habe ich auch nicht vor`. In der Kiste befanden sich auch sämtliche ´twilight` und Naturkunde Bände. Was ich bis dahin nicht wusste war, dass dieses Buch nicht aus der Arbeit meines Vaters stammte, aber dazu später.
An diesem Abend konnte ich nicht einschlafen. Ich starrte vor mich hin in die Dunkelheit und dachte an meine Schwester. Clara. Ich mochte es ihren Namen laut auszusprechen. Ich hatte diesen Namen jedoch seit zwei Jahren nicht mehr laut gesagt. Der Name war für mich gestorben als sie mich verlassen hat. Sie hatte Leukämie und starb mit 15 Jahren. Das war die schrecklichste Zeit meines Lebens und eigentlich spreche ich nicht gerne darüber, aber ich vermisse sie. Sie war immer für mich da und hat mich an so vielen Stellen meines Lebens unterstützt und mich aufgebaut. Ich hatte es nicht leicht in der Schule und mit dem Freunde-finden und so, aber wenn sie bei mir war, dann war das alles plötzlich so leicht. Es war einfach. Das Leben war einfach. Und das war es für mich auch noch, als sie mir sagte, dass sie jetzt nicht mehr so oft mit mir spielen kann, weil sie jetzt öfters ins Krankenhaus muss. Sie hat nie zugelassen, dass ich mir Sorgen mache oder, dass ich Angst um sie habe. Ich glaube das hatte sie selbst nicht einmal.
Mit der Zeit ist sie immer schwächer geworden, aber immer wenn ich sie besuchen kam hat sie sich mir zu Liebe verstellt. Ich weiß es. Aber am Ende hat ihre Kraft gerade noch für ein Lächeln für mich gereicht. Das ist schon traurig, aber im Vergleich dazu, was in der Nacht ihres Todes geschah ist das gar nichts. Ich stand wie ein kleines Häufchen Elend neben meiner Mutter, als ihr der Arzt mit den grauen Haaren sagte, dass es das Beste sei, sich zu verabschieden. Ich verstand das nicht, und deshalb stand ich allein mit Clara in ihrem Zimmer und sollte ihr Lebe wohl sagen. Die viertel Stunde, die sie mir mit ihr ließen, verbrachten wir schweigend. Eigentlich ein Witz, wenn man überlegt wie viel wir in all den Jahren miteinander gesprochen haben. Fast als wäre nichts mehr übrig, was wir einander hätten sagen können. Mein Vater trug mich schreiend und strampelnd aus dem Zimmer, als die Zeit um war. Sie wollten ihre Geräte abschalten und sie sollte Ruhe haben, denn sie wussten nicht, wie lange es dauern würde, bis ihr Herz endgültig aufhören würde zu schlagen. Clara sah mich mit einem Blick an, der dieses eine und letzte Mal jedoch nicht verstellt war. Mit Tränen, die ihr über die Wangen strömten, lächelte sie mir ein letztes Mal zu, bevor ich mich draußen in dem neonbeleuchteten Gang wiederfand. Ich trat so lange um mich, bis ich keine Kraft mehr hatte und einschlief. Wir saßen vor ihrem Zimmer. Sekunden, Minuten, Stunden. Um auf eine Nachricht zu warten, die keiner ertragen konnte. Mum und Dad saßen mit geschlossenen Augen nebeneinander, als ich aufwachte. Sie hielten sich an den Händen und keiner beachtete mich. Ich wusste, was ich wollte. Ich wollte mich von ihr verabschieden, so dass das letzte Bild was sie von mir vor Augen hatte, kein hyperventilierendes Mädchen war. Was mir, bis ich leise ihr Zimmer betrat nicht in den Sinn gekommen war, war, dass es vielleicht schon vorbei ist. Ich wusste nicht wie lange ich geschlafen hatte.
Sie lag mit geschlossenen Augen da. Wunderschön, wie ich fand. Ich mochte ihre rotbraunen Haare, die immer nach Äpfeln rochen. Ich hatte Angst sie zu berühren, als ich neben ihr stand. Sie war so weiß und bleich wie eine Porzellanpuppe. Ich strich ihr vorsichtig über die Wange. Und noch einmal. Ihre Augen flackerten und sie öffnete sie langsam. ,,Kimmi…‘‘. Sie sagte es fast mit einem Hauchen. ,,Sind Mum und Dad…‘‘ ,,…draußen‘‘, flüsterte ich ihr zu. Sie nickte und bedeutete mir mich neben sie zu legen. Ich kroch unter ihre Decke und sie legte ihren Arm um mich. ,, Mach mir keinen Unsinn, wenn ich weg bin, hörst du? ‘‘ Ich schüttelte unmerklich den Kopf und nahm ihre Hand. Ich war froh, dass ich mit dem Rücken zu ihr lag, denn ich weinte und ich wollte nicht, dass sie das sieht. Wir lagen lange so da. Es war ruhig und ich spürte ihren Atem in meinem Nacken.
Ich wachte von einem Geräusch auf. Ein langgezogener Ton, der nicht aufhörte. Ich sah mich um, aber ich wurde nicht schlau, woher er kam. Ein Mann öffnete die Türe. Der Grauhaarige sah erst mich an und dann auf die Uhr. Meine Eltern kamen herein. ,,Zeitpunkt des Todes: 2:47 Uhr.‘‘ Ich wurde aus dem Bett gehoben und erst als sich meine Hand von Claras löste, wusste ich, was für ein Ton das gewesen war.

Ich schreckte hoch. Es war dunkel um mich und ich brauchte erst einige Sekunden, um mich zu erinnert wo ich war. Ich musste irgendwann dann doch eingeschlafen sein. Ich ließ mich erleichtert zurück ins Bett fallen, aber ich dachte nicht daran nochmal zu schlafen. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Wollte ich auch gar nicht wissen. Ich wusste, dass ich eigentlich schlafen sollte und das rechte mir auch. Ich starrte aus dem Fenster, zumindest dahin, wo ich die Umrisse erkennen konnte. Ob ich traurig war? Nein, ich denke nicht. Dieses Gefühl, das mich alles erdrückt, das war seither immer dagewesen. Als ob Clara nie ihre Umarmung von mir gelöst hätte. Ich kann mich nicht erinnern, wie es sich anders anfühlt. Es isst, als ob nichts von alldem was draußen passiert dich so wirklich berührt. Ich will nicht sagen innerlich tot, das wäre dann doch nicht war, aber innerlich taub? Ja. Das stimmte. Taub von einer Wärme, die nicht mehr wärmte und mit der Zeit ausgekühlt war. Aber ich wollte auch nicht mehr so sein wie früher. Ich wollte nicht und auch wenn alle mich deswegen für einen Mädchen, das von der Außenwelt nichts wissen will, hielten, es war so, und ich hatte nicht vor das zu ändern. Mir fiel augenblicklich das Buch von Dad ein. ,, Flieg! ‘‘. Wie gerne ich das doch machen würde. Einfach die Flügel auf und irgendwohin. Egal wohin, einfach weg. Vielleicht sollte ich es doch lesen. Es schien mir ganz interessant und wie automatisch griff ich unter mein Bett und zog die Schachtel hervor. Ich versuchte den Deckel so leise wie möglich zu öffnen und nahm es heraus. Ich kuschelte mich unter meine Bettdecke. Sie war noch warm und ich war froh darüber. Meine kleine Taschenlampe spendete nur noch wenig Licht, aber ich wollte keine neuen Batterien kaufen, also musste es reichen. Das Buch war nicht besonders dick und eigentlich ein recht langweiliges Buch. Die ersten paar Seiten waren mehr als totlangweilig, aber ich las mich irgendwie durch. Es ging um innere Selbstbeherrschung und erzählte von Menschen, die sich nur mit Hilfe ihres Geistes aus den schlimmste Depressionen und Traumata ´gedacht´ haben. Ich war ein schneller Leser und hatte das Buch als die Sonne aufging durch. Ich war enttäuscht. Es war zwar aufschlussreich, aber brachte mich nicht weiter und fliegen konnte ich immer noch nicht.
Ich lag noch eine Stunde im Bett und stand dann auf. Meine Eltern würden heute die Einkäufe erledigen. Ich wollte nicht mit, also verbrachte ich den Tag wie alle anderen. Mit Nichtstun. Am Abend, meine Eltern waren gerade wieder nach Hause gekommen saß ich schließlich an meinem Schreibtisch und blätterte ein wenig in ,, Flieg! ‘‘. Es war komisch, denn ich konnte es irgendwie nicht zurück in die Kiste verbannen. Ich sah mir die Bilder der sogenannten `erlösten` Menschen an. Lauter alte Menschen, die sich vor Falten kaum noch retten konnten. Ich blätterte und blätterte und kam zur letzten Seite.
,, Auch sie können sich von allem Schmerz und jeder Angst befreien. Wenn sie diesen Satz und das Buch auch wirklich ganz gelesen haben, ist der erste Schritt bereits geschafft. ‘‘ Ich lächelte. Naja. Nicht so wirklich, aber ok. Mir wurde kalt. Urplötzlich. Ich hatte mich vermutlich erkältet, versuchte ich mir einzureden. Ich ging in die Küche, um mir einen Tee aufzubrühen. Ich wartete auf das ´klick´ des Wasserkochers und spielte mit einer Haarsträhne. Ich lauschte dem `tiktak` der Uhr. Ein Luftzug fuhr mir um die nackten Füße. Ich starrte vor mich an die Wand. Es machte ´klick´, aber ich bewegte mich nicht. Meine Hand. Eine Berührung. Ich weiß nicht mehr, was ich in dem Moment dachte, aber es war komisch. So surreal. Ich stand da wie erstarrt und fühlte mich nicht mehr alleine. Nicht allgemein, nein. In der Küche. Ich stand definitiv nicht alleine in dem Raum. Mein Kopf drehte sich langsam und ohne meinen Körper zu bewegen sah ich es. In meinem Augenwinkel. Ein Gesicht. Es roch nach Äpfeln. Ich fuhr mir mit der Hand über die Schläfe. Nein. Ich wollte das nicht. Ich zwang mich den Tee aufzugießen. Ich hob die Tasse an und machte einen Schritt. Es klirrte. Die Scherben mischten sich mit dem Kräutertee am Boden. Eine Hand. Auf meiner Schulter. Sie war kalt, aber löste etwas Vertrautes in mir aus. ,,Clara‘‘, ich hatte den Namen seit zwei Jahren nicht in den Mund genommen. Ich flüsterte es nur: ,,Clara…‘‘
Und ich hörte sie. Die Stimme, die immer mit einem ,,Ja?‘‘ geantwortet hatte. Das Wort, was mir, man glaubt es kaum, so gefehlt hatte. Der Geruch, den kein Apfelbaum je so ersetzten konnte. Und kein Mensch, der mich je so verstanden hatte, wie sie. Ich konnte es hören:
,,Ja?‘‘

25.1.2013
Ich hatte Angst, aber ich lächelte. Ich fühlte es. Nein, ich fühlte sie. Ich musste mich umdrehen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob das ein Traum war, oder ob ich Halluzinationen hatte, aber etwas in mir bewegte mich dazu. Ich drehte mich so langsam wie noch nie in meinem Leben um. Ich hatte die Augen geschlossen. Da war es wieder. Diese Hand. Diesmal an meiner Wange. Ich griff nach ihr. Als ich die Hand spürte öffnete ich erschrocken die Augen. Ich konnte mich nicht rühren. Ein Mensch. Ein Mensch aus Fleisch und Blut.
,,…C-Clara…?‘ ‘, ich schluchzte und starrte sie an. Sie lächelte und ihre Augen wurden feucht. Sie zog mich an sich. Sie umarmte mich. Nein, es war keine Umarmung. Ich sah und merkte es zwar, aber es war nicht das gleiche wie bei anderen Menschen. Und was mir absurder Weise als nächstes in den Sinn kam war genau das. Das war das Problem. Sie war kein Mensch. Clara war tot. Ich berührte ihr Gesicht und spürte nichts. Ihre Haare, wunderschön, aber…nichts. Ich ging einen Schritt zurück.
,,Was bist du? Ich kann…wenn du mich berührst…ich kann nicht…‘‘, stotterte ich. Sie sah mich an. Musternd. ,,Du bist so groß geworden…‘‘ Es tat weh. Sie sprach über mich als sei ich nicht da. Sie sprach mit mir, als hätte ich nicht bei ihr gelegen, als sie starb. Sie war…ruhig. Nicht überrascht, nicht fröhlich. Eher melancholisch. Dann sah sie mir ganz abrupt in die Augen. ,,Ich bin hier, weil du es willst. Du bestimmst, wann ich hier bin.'' Sie steckte mir mit jedem Wort ein Messer in die Brust. Ich wollte das nicht. Es zerstörte mich auch so schon von innen. Ich konnte nicht mehr. Und ich wollte nicht mehr. Der Teil der Geschichte war geschrieben. Ich wollte sie nicht von vorne beginnen.
Ich kniff meine Augen zusammen und sprach mehr mit mir selbst, als mit ihr:
,,Nein. Das ist nicht real. Du bist nicht real. Geh weg!‘‘ Es tat weh das zu sagen. Ich liebte meine Schwester, aber…es war zu viel. Ich öffnete die Augen. Ich war allein. Vollkommen allein. Ich sank auf den kalten Küchenboden. Ich merkte, dass ich in eine Scherbe getreten war und zog sie mir aus dem Fuß. Es tat nicht weh. Ich hielt die kleine weiße Scherbe, die am Rand rot gefärbt war, in der Hand und betrachtete sie. Rot lief es über meine Hand. Eine Träne löste sich in meinem Augenwinkel. Ohne Geräusche und starr wie Eis begann ich zu weinen. Fast schon krampfhaft klammerte ich mich an die kleine Scherbe. Sie war nur ein kleiner Teil von einem großen Scherbenhaufen, der um mich lag. Und trotzdem war sie anders als die anderen. Sie war, wie schon gesagt, rot.
In den nächsten Wochen war ich nicht ich selbst. Ich stand total neben mir und zwang mich Clara aus meinen Gedanken zu verbannen. Es hat nicht wirklich gut funktioniert, aber es reichte mir schon, dass ich es versucht hatte. Meine Eltern merkten nicht wirklich etwas davon, sie waren sowieso nicht oft da. Und in der Schule…ok, da kann man sagen war ich leicht abwesend. Ich schweifte immer wieder an den 5.Juli zurück. Nur um mich dann gleich wieder zu zwingen, den Tag zu vergessen.
Natürlich konnte ich ihn nicht vergessen, aber nach ein paar Wochen war ich zu einem Punkt angekommen, wo mir das egal war. Ich war fast schon leer innerlich. Es gab Tage, da saß ich in meinem Zimmer auf der Fensterbank und starrte stundenlang nach draußen. Das einzige was ich tat war atmen. Und selbst das tat ich nur, weil ich es musste. Mir wurde klar, dass es egal ist, ob ich lerne oder einfach nichts tue. Denn sterben würde ich irgendwann soundso. Und dann hätte ich nichts mehr von meiner Arbeit. Wozu sollte ich mir Ziele setzen, wenn ich nicht weiß, ob ich sie erreiche? Wieso sollte ich versuchen mein Leben zu gestalten und mit all den Dingen füllen, die ich liebe, wenn es allen anderen egal ist? Denn alleine sein Lieblingseis zu essen, ist lang nicht so schön, wie zu zweit. Und mein Problem war, dass meine zweite Person, der ich die Dinge zeigen konnte, auf die ich stolz war, fort war. Sie existierte nicht mehr. Eigentlich. Ihr seht das Problem? Ich war mir nicht sicher, ob ich sie zurück wollte. Denn mein Leben hatte sie mitgenommen. Mich hatte sie zurückgelassen.